Schlimme Meinungsmache der Neuen Westfälischen

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Alle paar Monate kramt eine Postille den Ruf nach einer Helmpflicht aus und präsentiert das mit markigen Worten. Heute die Neue Westfälische, welche titelt

Schwere Verletzungen nach Rad-Unfällen ohne Helm: Brauchen wir eine Pflicht?
… Denn auch, wenn es keine Pflicht gibt, müssen sich Radfahrer ohne Helm bei Unfällen mit Kopfverletzungen durchaus in einigen Fällen eine Mitschuld vorwerfen lassen …

Auf Twitter hatte sie sogar mit der noch schlimmeren Überschrift: Viele Radfahrer verweigern den Helm: Brauchen wir eine Pflicht? den Artikel angeteasert.

Im Artikel selbst wird mit der Anzahl der Unfälle mit Radfahrenden „Angst geschürt“. Natürlich ohne detailliert darauf einzugehen, was es für Unfälle sind. Tatsächlich werden dreiviertel der Unfälle zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern und Fahrradfahrenden durch die motorisierten Fahrer/innen verursacht. Das verhindert leider kein Helm. Die angesprochene Mitschuld durch Nichttragen eines Helmes wurde in der Vergangenheit regelmäßig von den Gerichten verneint. Dass Versicherungen auf eine solche Regelung scharf sind, ist klar: die wollen Geld verdienen sparen!

Ziemlich ungeschickt ist es denn auch, als Beispiel einen Fall zu nehmen, bei dem wieder einmal der motorisierte Verkehr Schuld ist

Autofahrer übersieht Radfahrerin
Erst kürzlich übersah ein Autofahrer eine 77-Jährige auf dem Radweg an der Waldstraße in Verl und nahm ihr die Vorfahrt. Die ältere Dame krachte gegen den Wagen und zog sich dabei schwerste Verletzungen zu. Sie trug keinen Helm.

Im verlinkten Artikel denn auch kein Hinweis auf die Art der nicht lebensgefährlichen Verletzungen. Als Alex vor einiger Zeit die Vorfahrt genommen wurde, fragte der hinzugezogene Polizist auch nach einem Helm. Alex war an Knie, Ellenbogen und Hand verletzt!

Es wird viel geschrieben in dem Artikel. Substanzielles gibt es aber leider nicht. Zum Beispiel fehlt, dass Helmhersteller inzwischen selbst sagen, dass ihre Helme nicht bei Unfällen mit Autos helfen. Dafür sind sie gar nicht ausgelegt. Zudem haben Fußgänger genauso häufig Kopfverletzungen im Straßenverkehr – niemand kommt auf die Idee, denen einen Helm aufzusetzen. Genauso wenig wie Autofahrenden, die ebenfalls schwerste Kopfverletzungen bei Unfällen erleiden. Im Rennsport setzt man doch auch Helme auf – ist dann immer das vielgebrachte Wort an die Radfahrenden.

Tatsache ist: der Helm verhindert keinen Unfall! Anders als zum Beispiel eine Schwimmweste das Ertrinken im Baggersee sehr zuverlässig verhindert – aber nie gefordert wird. Tatsache ist: Radfahrende sterben, weil Fahrer/innen des motorisierten Verkehrs nicht aufpassen und Regeln ignorieren. Die wenigsten Radfahrenden sterben, weil sie selbst Regeln ignorieren. Tatsache ist auch: der Fahrradhelm schützt nicht vor schweren Schädel-Hirn-Verletztungen. Er verhindert Schrammen, aber es ist sogar sehr unwahrscheinlich, dass er vor einer Gehirnerschütterung schützt.

Mit keinem einzigen Wort geht die Autorin dieses ärgerlichen Artikels auf die eigentlichen Gefahren und Gefährder ein. Man muss die Ursachen bekämpfen, wegen derer Radfahrende schwer verletzt oder getötet werden. Leider ist das unpopulär, weil sich dann womöglich viel, viel mehr Menschen umstellen müssten. Möglicherweise auch die Autorin. In Ländern, in denen Radverkehr besser funktioniert, lacht man jedenfalls über den deutschen Helmwahn. Eigentlich sollte das zu denken geben!

Ich bin im Übrigen nicht dagegen, dass Menschen einen Fahrradhelm tragen! Sollen sie machen! Ich bin strikt gegen eine Pflicht, weil die das genaue Gegenteil bewirken würde. Weniger Radfahrende bedeuten weniger Aufmerksamkeit und anteilmäßig höhere Unfallraten. Und ich bin dafür, dass Eng-Überholer/innen und Zu-schnell-Fahrer/innen der Führerschein abgenommen wird. Gerne schon ab 21 Km/h beim ersten mal drüber. Mit anderen Worten: ich bin dafür, dass sich an den Ursachen etwas ändert und nicht dafür, an den Symptomen rumzudoktern.

Über

Ich schreibe hier über Fahrrad(politik), Politik an sich, Technik, unsere Familie und alles was mich sonst so bewegt.

3 Kommentare zu „Schlimme Meinungsmache der Neuen Westfälischen

  1. das Schlimmste sind leider immer mehr eher die E-Biker, alias Pedelec- und S-Pedelecfahrer, jeder Altersklasse. Aber besonders viele betagte Senioren sind anscheinend mit der Unterstützung überfordert und fahren trotzdem noch total verkehrswidrig als Geisterradler oder auf dem Gehweg mit Vmax 25km/h und können nicht mehr rechtzeitig reagieren.

    Er/Sie trug keinen Helm muss man der Schummelpresse langsam mal ausmerzen, denn ein Helm behebt nicht die Ursache des Unfalls. Oft sind derartige Meldungen schon von der Pressestelle der Polizei vorgegeben und evtl. der Praktikant darf dann mal unter den Augen eiens „Redakteurs“ Copy-Paste machen und den Satz kürzen/umstellen.

  2. „Schlimme Meinungsmache“: Willkommen im Klub. Unser lokales Wurstblatt, die NOZ, wegen der strammen CDU-Propaganda auch Niedersachsenkurier genannt, hat vor ein paar Wochen eine ziemlich dumpfe AntiFahrradfahrerkampagne gestartet. Im ersten Artikel wurde die von der Polizei ohnehin schon unglaublich verzerrte Darstellung der Unfallstatistik 2020 übernommen und auch noch mit einer selten dämlichen Überschrift verziert:
    https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/2288599/so-oft-tragen-osnabruecks-radfahrer-die-hauptschuld-bei-unfaellen

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