Toter Winkel tötet Mädchen

Berliner Zeitung vom 25.01.2018: Zehnjähriges Mädchen stirbt nach Unfall mit Lkw – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/29555200 ©2018
… Ein zehnjähriges Mädchen ist in Brandenburg an der Havel von einem Lastwagen überrollt worden und gestorben. … „Der Fahrer hatte sie offenbar übersehen“, sagte ein Polizei-Sprecher am Donnerstag.

Leider inzwischen fast normal. Exakt den gleichen Unfall – mit zum Glück deutlich glimpflicheren Ausgang – hat Alex heute auf dem Nachhauseweg beobachtet. Sie war mit ihrem Rad direkt hinter der Frau, die von einer abbiegenden Autofahrerin angefahren wurde. Und ich hatte einen ähnlichen Vorgang beim letzten Minischnee, als mir eine Abbiegerin die Vorfahrt nahm, ich auf dem nicht geräumten Radweg beim abrupten Bremsen ins Schliddern kam und noch anhalten konnte. In beiden Fällen (sowohl ich als auch Alex sprachen mit den Beteiligten) war die Aussage „Ich habe Dich nicht gesehen!“ – im heutigen Fall noch ergänzt um „Ihr wart ja auch so schnell!“ (Alex fährt alles, aber nicht schnell ;-)

Es liegt nicht an Radfahrenden, die zu schnell sind, keinen Helm aufhaben oder ohne Licht fahren. Ich hatte 70 Lux am Rad, Alex Vorderfrau fuhr sicher keine 20 Km/h und das kleine Mädchen hatte grün … es liegt daran, das die Fahrer/innen motorisierter Kraftfahrzeuge einfach nicht darauf achten, was neben ihren Fahrbahnen abgeht. Und genau dort ereignete sich der Unfall mit der Zehnjährigen und auch die beiden Vorfälle auf der Eidinghausener – auf dem benutzungspflichtigen Radweg, in der richtigen Richtung und mit eingeschalteter Beleuchtung bzw. am hellen Tag. Es liegt daran, dass die Menschen in den Fahrzeugen mit dem größten Gefährdungspotential einfach nicht aufpassen. Und da mir das jeden Morgen so geht, mit unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern, ist das auch kein Einzelfallproblem, sondern ein ein sehr häufiges. Klar gibt es auch Menschen, die einen Schulterblick machen oder die an der Blöbaumkreuzung beim Rechtsabbiegen nicht einfach über den rot markierten Radstreifen ziehen, aber das sind wesentlich weniger als die, die das eben nicht machen.

Leider ist es so, dass meinem Eindruck nach gerade die berufsmäßig hinter dem Steuer Sitzenden besonders wenig auf Fußgänger und Radfahrer achten. Teilweise sogar ganz bewusst schwere Verletzungen in Kauf nehmen und danach völlig uneinsichtig sind. Befeuert wird diese mangelhafte Wahrnehmung der Situation von solchen Erklärungen aus dem gleichen Artikel:

Die Prüfgesellschaft DEKRA warnt, der Tote Winkel an Lastwagen sei für Radfahrer eine große Gefahr. Radfahrer, die neben einem Lastwagen stehen, sollten ihn gut beobachten und möglichst Blickkontakt mit dem Fahrer aufnehmen. „Ein Lkw-Vorderreifen hat eine Radlast von rund drei Tonnen. Die Folgen eines Unfalls sind verheerend“, sagte der Leiter der Dekra in Potsdam, Dirk Benndorf, am Donnerstag.

Obwohl es den toten Winkel bei allen vorgeschriebenen, korrekt eingestellten und dann auch benutzen Spiegel seit langem nicht mehr gibt (geben dürfte), wird er munter weiter als Universalentschuldigung bemüht. Man könnte auch sagen, dass die Infrastruktur scheiße geplant ist, dass die Fahrer/innen der unfallverursachenden KFZ unaufmerksam waren … nein, es ist der tote Winkel, die tiefstehende Sonne oder – dann wird’s perfide – die dunkle Kleidung.

Mir wurde schon oft vorgeworfen, ich würde das immer zu sehr verallgemeinern, aber bitte, was hat das zehnjährige Mädchen, die Frau heute vor Alex oder ich vor einer Woche falsch gemacht? Außer das alle vorschriftsmäßig am Straßenverkehr teilgenommen haben? Hingegen haben die jeweils motorisierten Beteiligten definitiv etwas falsch gemacht. Aber weder wird das in den Unfallberichten erwähnt noch wird es akzeptiert, wenn ich hier davon schreibe. Leider ist aber genau das die Gefahr im Straßenverkehr! Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen ist nicht gefährlich! Die allerwenigesten Unfalltoten auf Fahrrädern oder zu Fuß im Straßenverkehr kommen bei selbstverschuldeten Alleinunfällen ums Leben.

Nicht der tote Winkel ist eine große Gefahr für Fußgänger und Radfahrer. Menschen die ihn durch Unterlassung zulassen oder die Maßnahmen zu dessen Verhinderung ignorieren sind eine Gefahr. Experten, die den toten Winkel als Unfallursache erwähnen, sind eine Gefahr. Sie sorgen nämlich dafür, dass die tatsächliche Ursache – Unaufmerksamkeit und miese Infrastruktur – nicht weiter beachtet und akzeptiert wird.

Mein aufrichtiges und tiefes Beileid an die Angehörigen des Mädchens. Ich mache mir inzwischen wirklich Gedanken, wenn Tim los fährt. Nicht weil das Rad gefährlich ist oder er sich nicht an Regeln hält …

Über

Ich schreibe hier über Fahrrad(politik), Politik an sich, Technik, unsere Familie und alles was mich sonst so bewegt.

3 Kommentare zu „Toter Winkel tötet Mädchen

  1. Schön ist immer: „er Tote Winkel an Lastwagen sei für Radfahrer eine große Gefahr. Radfahrer, die neben einem Lastwagen stehen, sollten ihn gut beobachten und möglichst Blickkontakt mit dem Fahrer aufnehmen.“

    Wenn das so klar ist, sollte das der LKW-Fahrer auch wissen. Das übersieht die DEKRA dann immer geflissentlich (oder wer auch immer den Unsinn gerade zusammenschreibt).

  2. Immer wieder das Lügenmärchen vom toten Winkel. So ein Fahrzeug darf nicht zugelassen werden. Denn §56(1) StVZO bestimmt:
    „Kraftfahrzeuge müssen nach Maßgabe der Absätze 2 bis 3 Spiegel oder andere Einrichtungen für indirekte Sicht haben, die so beschaffen und angebracht sind, dass der Fahrzeugführer nach rückwärts, zur Seite und unmittelbar vor dem Fahrzeug – auch beim Mitführen von Anhängern – alle für ihn wesentlichen Verkehrsvorgänge beobachten kann.“

    So ein Unfall wird praktisch immer vom KFZ-Führer verursacht, der die vorhandenen Möglichkeiten nicht oder nicht richtig benutzt.

  3. Moin,
    “ Die allerwenigesten Unfalltoten auf Fahrrädern oder zu Fuß im Straßenverkehr kommen bei selbstverschuldeten Alleinunfällen ums Leben.“
    zu jenem gibt es eine schöne Statistik in Deutschland.

    Der Unfallbericht für Zweiräder aus 2016: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/UnfaelleZweirad5462408167004.pdf?__blob=publicationFile

    Daraus von Seite 9 aus dem Absatz „PKW häufigster Unfallgegner“
    „Bei Unfällen mit einem Pkw war der Radfahrer nur zu 24,6 % und bei Unfällen mit Güterkraftfahrzeugen nur zu 19,8 % der Hauptverursacher des Unfalls.“
    Auf gut deutsch in 75% bis 80% der Fälle sind die Bürgerkäfige schuld!
    Nur falls man dir mal wieder nicht glauben mag weil die Fahrradfahrer alle so dermaßene Rowdies sind.

    p.s. der Bericht aus 2016 ist leider momentan noch die neueste Aufbereitung, die Zahlen für 2017 muss man sich noch selbst zusammensuchen.

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