Verständnis
Gestern morgen fuhr ich – wie fast immer – mit dem Fahrrad zur Arbeit. Das Wetter ist zwar nicht ganz super, aber es hat wenigstens nicht geregnet. Lediglich an der Eidinghausener Seenplatte, welche die Verwaltung als benutzungspflichtigen Radweg ausgewiesen hat, muss man Abstriche machen. Morgens nehme ich die vielen Pfützen allerdings in Kauf, weil ich dadurch den Stau links liegen lassen kann. Ich benutze das Rad (nicht nur) aus idealistischen Gründen, sondern weil es einfach schneller ist!
Üblicherweise quere ich dann die Mindener Straße an der Kreuzung zur Steinstraße und der Eidinghausener Straße (Man muss der Kreuzung endlich mal einen Namen geben, wie der „Blöbaum-Kreuzung“ auch … ich denke ich nehme ab jetzt „Stahls-Kreuzung“!), um danach auf der Steinstraße weiter zu fahren. Ist die Querungsampel jedoch gerade auf rot umgesprungen, ist es aufgrund der langen Rotphasen schneller, rechts auf die Mindener abzubiegen und dann später dort Richtung Kaiserstraße zu fahren. Bei dieser Vorgehensweise gibt es nur ein Problem: niemand hat eine Radverkehrsführung von der Mindener Straße unter der Bahn her auf die Kaiserstraße vorgesehen!
Man muss also – wenn es nach der Verwaltung geht – den viel zu schmalen, ohne Sicherheitsstreifen neben der Fahrbahn befindlichen und auch sonst katastrophalen benutzungspflichtigen Radweg an der Mindener Straße befahren, dann an der Ampelquerung zur Bahnunterführung enervierend lange warten (da ist wirklich richtig lange rot), dort die Mindener queren … und steht auf dem Gehweg. Dort geht es nicht weiter. Verwaltungswille ist, dann dort wieder auf den Bettelampelknopf zu drücken und zu warten bis man erneut die Fahrbahn queren kann, um auf die westliche Seite der Unterfahrung der Bahn zu gelangen. Das geht in zwei Etappen, weil man zwei unterschiedlich geschaltete Ampeln abwarten muss. Danach steht man allerdings wieder bzw. immer noch auf dem Gehweg!
Hier kann man sich jetzt als Radfahrer überlegen, irgendwie über den Hochbord auf die Fahrbahn zu gelangen, um dann Richtung Kaiserstraße hoch zu fahren, oder zu Fuß auf dem Gehweg zu schieben. Kurz: das ist riesengroßer Mist!
§ 9 StVO – Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren
(1) Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Wer nach rechts abbiegen will, hat sein Fahrzeug möglichst weit rechts, wer nach links abbiegen will, bis zur Mitte, auf Fahrbahnen für eine Richtung möglichst weit links, einzuordnen, und zwar rechtzeitig.
Die Alternative die ich regelmäßig nutze ist, ganz einfach auf der Fahrbahn zu fahren. Zwar ist der Radweg an der Mindener Straße benutzungspflichtig, aber er endet ja spätestens an der Querungshilfe. Ich möchte links abbiegen, also ordne ich mich links ein „und zwar rechtzeitig“. Auf der Mindener Straße ist an der Einmündung tatsächlich sogar eine Linksabbiegespur. Also fahre ich bis zur Absenkung des Bordsteins an der Stelle, wo der Autofahrer-Schleichweg Hinterm’m Gradierweg rauskommt, quere dort die beiden Fahrspuren und fahre ganz entspannt auf der Linksabbiegespur bis zur Ampel. Das ist kein Problem, da auf der Mindener Straße aufgrund der Ampelschaltung an der Stahls-Kreuzung genau dann so gut wie kein Verkehr ist. Also anhalten, gucken, Arm raus, einordnen, bis zur Ampel fahren. Und nein, das empfehle ich Schulkindern oder tatterigen Senioren nicht.
Alles kein Problem, auf der Mindener darf man nur 50 Km/h fahren und ich bin auch nicht lebensmüde. Und alles vorschriftsmäßig, ich habe mich rechtzeitig eingeordnet, um in eine Straße abzubiegen, in der es keine Radverkehrsanlage gibt – weder benutzungspflichtige, noch andere.
Gestern morgen machte ich das ganz genauso. War auch alles kein Problem. Auf der Kaiserstraße überholte mich dann ein Kraftfahrzeug durchaus zügig und durchaus eng. Eine Kollegin, wie mir das Nummernschild verriet. War nicht so eng, dass ich geschimpft hätte, das hatte ich schon schlimmer, aber eben auch deutlich weniger als die erforderlichen 1,5 Meter.
Zu Hause erfuhr ich dann, dass meiner Frau gesagt wurde, ich „Schlingel“ hätte den benutzungspflichtigen Radweg ignoriert. Das Schlingel ist ja durchaus eine schwache Rüge und ich weiß, dass die Kollegin selbst oft mit dem Rad fährt. Allerdings – und darauf möchte ich mit dem langen Text hinaus – ist das Verständnis der Situationen bezeichnend: Ich bin ein Schlingel, obwohl ich mich absolut vorschiftsmäßig verhalten habe. In der 30-Zone etwas zu schnell fahren und etwas zu dicht überholen ist aber eben nicht nur „Schlingel“, sondern nicht den Vorschriften entsprechend und gefährdet u.U. andere, ich habe niemanden gefährdet.
Es wird für den Radverkehr nur dann besser und sicherer im Straßenverkehr, wenn Autofahrende mich nicht mehr als „Schlingel“ sehen, nur weil ich mich nicht dem motorisierten Weltbild entsprechend verhalte. Als Fahrradfahrer spare ich Infrastrukturkosten, ich reduziere den Stau auf der Fahrbahn und ich spare Parkfläche – alles Dinge, die *anderen* nutzen, nicht mir! Und das ist ja durchaus das Ziel der Übung, unter anderem genau deshalb fahre ich ja mit dem Rad. Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, dass andere regelmäßig meinen von mir bezahlten Parkplatz nutzen, sie nutzen ja auch die von meinen Steuergeldern mit bezahlten Straßen – das ist seit Jahren so und auch gut so. Aber genau deshalb bin ich als Radfahrer eben kein „Schlingel“, sondern ein Verkehrsteilnehmer, der gut für die Autofahrer ist!
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