Radfahren oder nicht, das ist die Frage

Soll ich überhaupt noch das Fahrrad benutzen? Wenn es nach dem Oberlandesgericht Schleswig geht, ist das durchaus zu erwägen: Fahrradunfall ohne Helm – Mitverschulden an der Kopfverletzung? Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen – sich verkehrswidrig verhaltenden – Verkehrsteilnehmer (Kfz; Radfahrer usw.) und erleidet er infolge des unfallbedingten Sturzes Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich grundsätzlich ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen. Dies hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vergangene Woche entschieden und im konkreten Fall den Mitverschuldensanteil mit 20 % bemessen Es gibt in Deutschland keine Helmpflicht. Die weitaus meisten Verletzungen bei Unfällen mit dem Rad betreffen nicht den Kopf, sondern die Gliedmaßen. Und ob ein Helm bei solchen Unfällen schützt, wage ich erstmal zu bezweifeln. Tatsächlich ändert ein Helm auch nichts daran, dass die Gründe für die Unfälle nicht abgestellt werden: unaufmerksame oder sogar mutwillige Autofahrer.

Letzteres ist wichtig. Denn die Argumentation des OLG Schleswig lässt sich auf beliebige andere Situationen übertragen. Man denke nur an kurze Röcke und Belästigungen (oder schlimmer). In so einer Situation soll mal einer „Selbst Schuld“ sagen. Was ist mit Parkunfällen? Wenn einem parkenden Auto der Außenspiegel abgefahren wird – wie lange dauert es nach diesem Urteil noch, bis die Versicherung des Unfallverursachers nachfragt, ob der Spiegel abklappbar war? Wenn ja: warum war der Spiegel ausgeklappt? Da ist der Halter das Wagens wohl selbst Schuld, wenn das Teil abgefahren wird!

Was das Oberlandesgericht hier „verzapft“ hat ist ein ganz, ganz mieses Signal an Autofahrer. Habe ich bisher noch argumentiert, dass Autofahrer niemandem absichtlich an die Karre fahren, bin ich mir nun gar nicht mehr so sicher. „Dem zeig ich’s!“ ist nicht mehr so weit. Vor ein paar Tagen wurde ich von einem Autofahrer verfolgt, der mir auf einem straßenbegleitenden, benutzungspflichtigen Radweg die Vorfahrt nahm und mich beschimpfte, nachdem ich einen Schlenker vor ihm her macht. Er wollte mich wegen Nötigung anzeigen, weil er beim Einbiegevorgang wegen mir warten musste, obwohl auf der Fahrbahn keine Fahrzeuge unterwegs waren. Ich müsste auf dem vorfahrtberechtigten Radweg warten, wenn er quer vor mir steht, weil er zuerst da war! Der Mann outete sich in der Diskussion als Fahrlehrer! Solche Gerichtsurteile sind Wasser auf die Mühlen dieser Menschen.

Sehr schöner Artikel dazu auch bei Andrea Reindl im Zeit-Online Fahrradblog „Velophil“. Es ist – anders als das OLG es sieht – nicht gefährlich mit dem Rad zu fahren. Im Auto ist die Gefahr einer Kopfverletzung viel größer. Und als Fußgänger ist das Risiko bei einem Unfall mit einem Auto am Kopf verletzt zu werden ebenfalls groß. Niemand kommt aber auf den Gedanken zu verlangen, Fußgänger oder Autofahrer sollten einen Helm tragen. Bei Autorennen wird das selbstverständlich gemacht. Womöglich macht man hier einen Unterschied zwischen normalen Alltagssituationen und Rennbetrieb. Beim Fahrrad tut man aber so, als würde man sich im Rennbetrieb befinden, sobald man in den Sattel steigt. Warum? Es ist das Gleiche wie beim Auto – dort ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kopfverletztungen auftreten, darum tragen in bestimmten Situationen Autofahrer trotz Überrollbügel und umgebender Karrosserie einen Helm. Aber eben nicht beim Weg auf die Arbeit.

Diese für mich nicht nachzuvollziehende Angst, es könnte einem der Himmel auf den Kopf fallen (denn dagegen schützt der Helm am offensichtlichsten) führt dazu, dass ich inzwischen Kleinkinder auf Bobbycars mit Helm rumfahren sehe. Auf BOBBYCARS!

Fahrradfahrer und Kinder auf Bobbycars werden am effektivsten geschützt, wenn die Eltern vernünftig und aufmerksam werden. Im Auto langsam fahren, auf den Verkehr achten, beim Abbiegen über die Schulter gucken und in 30-Zonen verdammt noch mal 30 und nicht 40 oder gar schneller fahren. Man muss an den Ursachen etwas ändern und nicht als Allheilmittel einen Schutz für eine seltene Extremsituation propagieren.

Update: Habe noch einen schönen Blogartikel zu dem Thema gefunden! Auch sehr differenziert und gar nicht mal so sehr gegen den Helm. Eigentlich genau das, was ich in Diskussionen auch immer sage.

Über

Ich schreibe hier über Fahrrad(politik), Politik an sich, Technik, unsere Familie und alles was mich sonst so bewegt.

1 Kommentar zu „Radfahren oder nicht, das ist die Frage

  1. Danke für die Blumen :)

    Fahrlehrer sind eigen.

    In solchen Situationen biete ich (je nach Laune und Zeit) an, die Polizei selbst zu rufen, damit die Leute ihre Anzeige machen können. Die wenigsten gehen drauf ein.

    PS: ich hatte beim Bund einen Fahrlerer, wenn man da ein Fahrrad nur schief ansah, konnte man sich auf was gefasst machen. Geht also auch dort.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*